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Kloster St. Johann Müstair Kloster St. Johann Müstair

Wenn die Stütze zur Krücke wir

Der flackernde Schein der vier Kerzen die um die Bahre stehen, tauchen die Szenerie in der Apsis in der kleinen schummerigen Heiligkreuzkapelle des Clostra Son Jon in Müstair dieser Tage in ein gespenstisches Licht. Die Mitra religiosa ruht stehend am Kopfende der Bahre. Das silberne Pektorale, auf dem schwarzen Habit mit den acht grossen und unzähligen kleinen Kristallen, das natürlich vor der Bestattung abgenommen wird, wie auch der Ring, und durch ein schlichtes Holzkreuz ersetzt wird, in dem sich das Licht in allen Farben bricht, trägt das Übrige dazu bei.

 

Sr. Adelheid, die erste Äbtissin dieses Klosters ist unvermittelt anfangs Februar am frühen Morgen des Jahres 1233 nach über 20 Jahren im Amt verstorben. Nun stehen die verbliebenen 18 Schwestern in ihren schwarzen Kukullen und drei Novizinnen stumm und ratlos vor dem Sarg und dem in Hüfthöhe der Verstorbenen auf dem Kopf stehenden Pedum.

Genauso bizarr wie die Szenerie, sind die Gedanken die sich in den Köpfen einiger der Schwestern bewegen. Für die Einen ist eben dieser Stab das Objekt der Begierde, für die Anderen jenes der Angst, denn es war nicht üblich eine Wahl abzulehnen. Doch vorerst beschäftig die meisten wie und vor allem mit wem soll es nun weitergehen.

 

Sr. Beate, der Priorin obliegt es nun, das Requiem für die verstorbene Äbtissin, das Murrkapitel und das Wahlkapitel zu organisieren. Sie ist es auch, die jetzt unvermittelt mit dem Psalm 6:5 Denn im Tode gedenkt man dein nicht……, den Psalter mit ihrer starken Stimme beginnt und damit die bleierne Stille zerreisst.

 

Doch so ganz ist sie nicht bei der Sache, so wie einige Andere auch nicht. Während des Rosenkranzes, schweifen ihre Gedanken schon zur Wahl, denn es ging um mehr, viel mehr als nur um die Wahl einer neuen Vorsteherin des Konvents. Sie rechnet sich Chancen aus, die nächste Äbtissin und damit Regentin mit bischöflichen Vollmachten, in etwa vergleichbar mit einem Archidiakon, (ohne Bischofsweihe) über die Ländereien die dem Kloster unterstellt sind, zu werden. Immerhin ist sie von Adel, wenn auch nur von Niederem.

 

Dass Berthold von Helfenstein, der Fürstbischof von Chur, der dem Hospiz von Müstair sehr zugetan ist und den «frommen Frauen» grösstmögliche Freiheiten eingesteht, eine Äbtissin ernennen würde, war auch angesichts der Tatsache, dass er sich im Krieg gegen Tirol befand nicht wahrscheinlich.

So halten der Fürstabt von Disentis zusammen mit den sechs Pfarrherren die Sr. Adelheid in den Ländereien über die sie regierte, eingesetzt hatte, das Requiem für die verstorbene Äbtissin. Der Abt wird später als Beobachter und allfälliger Schiedsrichter die Wahl begleiten und dann auch die Benediktion der neuen Äbtissin vornehmen. Diese muss innerhalb eines Monats nach dem Ableben der Amtierenden bestimmt sein.

Eine Wochen nach der Bestattung, wird das Murrkapitel einberufen in dem die Schwestern, ausgenommen der drei Novizinnen, die noch nicht mitreden und wählen dürfen, ihren Kopf lehren dürfen und auch Vorschläge machen können, wie sie sich die Amtsführung der kommenden Äbtissin vorstellen würden.

 

Heute nun Mitte März hält der Konvent sein Wahlkapitel ab. So versammeln sie sich im Kapitelsaal um ihre neue Äbtissin zu wählen. Man möchte weder eine herrschsüchtige noch eine ohne Führungsqualitäten. Auch nach dem vierten Wahlgang zeichnet sich noch immer keine Mehrheit für eine Kandidatin ab. Nicht zuletzt, weil die drei Schwestern unter keinen Umständen ihre Stimme der jeweils anderen geben würden.

So wurden den auch nicht, Sr. Felicitas, nicht Sr. Beate oder Sr. Cécile die sich Chancen ausgerechnet hatten gewählt. Im fünften Wahlgang einigt sich der Konvent auf Sr. Katharina, nachdem diese von eben diesen Drei, nicht ohne Hintergedanken vorgeschlagen wurde.

Die Mitvierzigerin war nicht adelig, ganz im Gegenteil, sie kam aus einer kinderreichen Bauernfamilie aus Trient und trat im zarten Alter von 17 Jahren ins Kloster ein. Als junge Novizin hatte sie die lange, beschwerliche und gefährliche Reise nach Müstair miterlebt, die sie wegen der Wirren des Investiturstreits auf sich nehmen mussten.

Sr. Katherina ist eine stille, gottesfürchtige und gutmütige Schwester, die ihre Aufgaben stets gewissenhaft und mit Freude verrichtete. Sie war eine jener, die Angst vor dieser Wahl hatte und viel lieber weiterhin das Gemüse und ihre Blumen gepflegt und gehegt hätte.

 

Nun hat man sie gewählt und Ihr diese Bürde auferlegt. Gott weiss, sie hatte dieses Amt nicht angestrebt, noch gesucht. Sollte sie jetzt ablehnen oder annehmen ? Sr. Katharina war nicht dumm und sie kannte das Klosterleben, doch von Ökonomie verstand sie nichts. Allein ihre Gottesfürchtigkeit und ihr Gehorsam liess sie die Wahl annehmen. Sein Wille geschehe, sagte sie also dann und nahm an. Dies wurde dann auch zu ihrem Wahlspruch.

Am 24. März an ihrem Namenstag des Jahres 1233 kniete sie nun im goldenen Chormantel vor dem Fürstabt von Disentis in der schönen St. Johann Kirche und wurde Ihr von eben dem, ihr dem einfachen Bauernkind aus Trient anlässlich der Abtsbenediktion, die Hände aufgelegt, der Ring übergestreift, das Pektoral umgehängt die Mitra religiosa aufs Haupt gesetzt und der Pedum, der ihr halt geben und Stütze sein soll, als äussere Zeichen des Amtes und würden überreicht.  
Solchermassen ausgestattet, und nach dem Bruderkuss, führt sie nun der Konsekrator, zur eigens für Sie und diesen Anlass errichteten Kathedra und bietet Ihr an, Platz zu nehmen. So besteigt Sie nun als Abtordinarius mit allen bischöflichen Rechten in weltlichen Dingen, die Kathedra und nimmt die Abtei mit all seinen Ländereien, in Besitz. Nun war sie Katharina, Regentin über das ganze Münstertal und angrenzende Gebiete in Italien.

So nimmt Sie nun die Huldigungen, Gehorsams- und Treuegelöbnisse der Pfarrherren und Mitschwestern entgegen. Die meisten taten dies aufrichtig und freuten sich über die Wahl dieser gutmütigen und stillen Mitschwester. Doch schaut man genauer hin, sieht man auch säuerliche Gesichter und in den Augen Missgunst und Hinterhältigkeit. Dies alles wurde auch Ihr gewahr und es beschlich sie die Befürchtung, dass ihr Abbatiat, nicht einfach werden würde.
Sie sollte sich nicht getäuscht haben. Das Triumvirat bestehend aus der Priorin Sr. Beate, Sr. Felicitas, Sr. Cécile hintertrieben von Beginn an all ihr tun. Am schlimmsten für sie war die Tatsache, dass die Priorin zu der sie aus naheliegenden Gründen eine besondere Verbindung hatte dies tat. So blieb ihr nichts anderes übrig, nachdem auch diverse Abmahnungen und eine zeitlich begrenzte Suspension nichts nützten, sie abzusetzen, was sie nicht gerne tat. Hatte Sr. Cécile doch weit mehr Erfahrung und war bewandert im Umgang mit den Honoratioren der Zeit. Zwar hatte sie jetzt mit Sr. Gertrud eine ihr ergeben Priorin, doch die Gemeinheiten nahmen immer weiter zu. So kursierten schon bald die unmöglichsten Geschichten über sie im Konvent. Auch angeblich von ihr beabsichtigte Personalie machten die Runde. Nicht verwunderlich, dass der Konvent schon bald so verunsichert war, dass so manch eine sich fragte, ob sie der Richtigen die Stimme gegeben hat.
Sie Katharina versuchte mit Güte, Liebe, offenen Gesprächen, und Strenge wieder Ruhe in den Konvent zu bringen, doch alles half nichts der Giftstachel war gesetzt und zeigte seine traurige Wirkung und die Intrigen gegen sie nahmen im Verlaufe der Jahre weiter zu.

Nach fünf Jahren vergeblichen Bemühungen und Kampf gegen Windmühlen, war sie müde und stand vor der Entscheidung, die Drei aus der Klostergemeinschaft auszuschliessen oder selber die Resignation einzureichen. Da sie Katharina den Konvent nicht durch den Verlust von drei Schwestern schwächen wollte, entschied sie sich die Resignation beim Fürstbischof einzureichen.
So wurde ihr der Pedum, der ihr Stütze sein sollte zur belastender Krücke.
Nun hatte Sr. Beate und ihre Genossinnen ihr Ziel erreicht und sie konnten sich wieder Hoffnungen machen die nächste Äbtissin zu werden.
Nein keine der Drei wurde Nachfolgerin von Sr. Katharina, „die Reine“ war rein und blieb rein, denn nach dem Rücktritt zeigte sich schnell, dass dies alles dem Triumvirat zu verdanken und nur der Missgunst und Neid zu verdanken war.
Die neue Äbtissin war weniger gütig und schloss Sr. Beate gänzlich aus der Klostergemeinschaft und Sr, Cécile und Sr. Felicitas wurden in je ein anderes Kloster versetzt. Jetzt zog endlich der langersehnte Frieden wieder in den Konvent ein.
Sr. Katharina durfte sich wieder um ihr Gemüse und die Blumen kümmern und fand so auch bald wieder Ihre innere Ruhe und Frieden.

Vergessen ging das Abbatiat, von Sr. Katharina jedoch bis heute nicht und es ging in die Geschichte ein als Lehrstück, wie es nie mehr geschehen darf.
 

(So könnte sich ein Teil der verlorenen Geschichtsepoche jener Zeit präsentieren.)
Anno Domini XXVI III MMXXI meinem Geburtstag, den Frommen Frauen vom Kloster Müstair gewidmet.
Daniel Coray

 

 

 

 

 


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